„Licht in die Tiefe des menschlichen Herzens senden“ – das ist laut Wassily Kandinsky, der hier zustimmend Worte des romantischen Komponisten Robert Schumann zitiert, des „Künstlers Beruf“.1 Aber was kann dies, bezogen auf die Malerei, eigentlich bedeuten? Ist die Malerei erhebend? Nicht immer. Ist sie spirituell? Nun, sie lässt sich so interpretieren, aber es ist Ansichtssache. Ist der Zustand der Menschheit im Wesentlichen lichtfern, nur durch den Balsam der Kultur zu heilen? Sind wir zur Schwermut prädisponiert? Steht Lichtferne für die Ignoranz und das Licht für die Erkenntnis? Die von Kandinsky zitierten Worte provozieren so viele Fragen. {…}
Von dieser Idee eines Anfangs und eines Anfangens findet sich etwas in den jüngsten kleinformatigen Gemälden von Helmut Federle wieder. Sie stellen einen Prozess des Werdens, der Formfindung, des Sich-Ausformens dar – das Zusammenkommen von Strichen und Markierungen, die das Potenzial eines Etwas eher als das Zustandekommen eines fertigen, vollendeten Produkts andeuten. Oder vielleicht suggerieren sie den Zerfall einer Form, deren Zusammenbruch, und damit ein Ende. Federle trägt die Farbe mit Lappen auf, wäscht sie weg, wenn das Ergebnis ihn nicht zufriedenstellt, überlässt es dem Wasser, eine angemessene Wirkung zu erzielen, und lässt die Gespenster des Scheiterns inmitten der überbleibenden Reste ausharren. In diesen Arbeiten scheidet sich zwar die Finsternis vom Licht, aber es vollzieht sich weniger ein Wettstreit zwischen ihren Kräften als eine sich stets entwickelnde Situation, ein kontinuierlicher Prozess der Verwandlung. Wie Maurice Merleau-Ponty über Cézanne in seinem Essay „Le doute de Cézanne“ [Cézannes Zweifel] schreibt: „Er wollte die Materie im Moment des Sich-Form-Gebens darstellen – die Geburt der Ordnung aus spontanem Sich- Organisieren.“
Grünangergasse 1, 1010 Wien
Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder
Die Galerie nächst St. Stephan repräsentiert eine lebendige Tradition der Auseinandersetzung mit der Kunst der Moderne. Seit den 1920er-Jahren ist sie am selben Ort im Zentrum Wiens in der Grünangergasse 1 zu finden.
Mit der Ausstellung: Zeichen, Fluten, Signale – neukonstruktiv und parallel stellte Rosemarie Schwarzwälder 1984 ein Programm vor, dessen Grundelemente bis heute in zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen ihre Gültigkeit haben. Internationale Positionen der Abstraktion und konzeptuell fundierter Kunst in den Bereichen Malerei, Skulptur, Installation, Fotografie und Video sind im Galerieprogramm kontinuierlich präsent.
HELMUT FEDERLE: Acknowledgement
11 Feb 2023 - 25 Mar 2023
Galerie nächst St. Stephan Rosemarie Schwarzwälder, Grünangergasse, Wien, Österreich