VERANSTALTUNGSSPRACHE: DEUTSCH
Wenn etwas aus der jüngsten Vergangenheit der komplexen Weltgeschichte immer klarer wird, dann das: In einer modernen liberalen Gesellschaft sind deutlich mehr Elemente miteinander verknüpft, als es auf den ersten Blick scheint. Eingriffe an einer Stelle führen zu Auswirkungen an ganz anderen, oft unerwarteten Punkten. Nicht alle Interdependenzen werden von den handelnden Personen im Voraus erkannt oder mitbedacht. Wer etwa die Energieversorgung auf eine nachhaltige Basis stellen will, kann zwar auf die klimatechnisch problematischen Auswirkungen der fossilen Systeme verweisen, darf aber den bisher erreichten Wohlstand – von gestiegener Lebenserwartung bis Armutsbekämpfung – nicht ausblenden und muss für entsprechenden Ersatz sorgen. Wer mehr Solidarität mit Geflüchteten fordert, muss die Folgen für die Solidargemeinschaft westlicher Gesellschaften mitdenken.
Und wenn Narzissten wie Elon Musk glauben, Regierungsbehörden nach Konzernlogik „optimieren“ oder einer Gesellschaft ihr eigenes Weltbild aufzwingen zu können, dann müssen sie die Folgen ihrer Interventionen auf die harte Tour lernen – etwa durch einbrechende Tesla-Verkäufe auf einem an sich klimaaffinen Markt wie Europa. Je stärker sich die Fronten verhärten, desto häufiger tauchen Begriffe wie „Kollateralschaden“, „Durststrecke“ oder „Medizin für den Heilungsprozess“ auf. Diese beschreiben in „trumpesker“ Manier die oft übersehenen Nebenwirkungen vorschneller Entscheidungen, stellen sie gleichzeitig als alternativlos dar und versuchen, sie so der öffentlichen Kritik zu entziehen.
Das betrifft nicht nur politische oder wirtschaftliche Kontexte, sondern auch private und gesellschaftliche Prozesse – und stellt sowohl Handelnde als auch Betroffene vor immer neue Herausforderungen. Die Kunst, Künstler*innen, greifen diese Dynamiken rund um die Idee von „Learning Systems“ auf und entwickeln daraus kreative, oft überraschende Verbindungen. Diese können wahlweise zur weiteren Verwirrung oder zu einer klärenden Entflechtung beitragen, führen aber in beiden Fällen zu neuen Einsichten und Perspektiven.
Künstlerisches Handeln wirkt dabei stets systemisch auf andere Ebenen: Elemente eines Bereichs werden in einen anderen übertragen. Aus Kabelbindern aus dem Baumarkt entstehen überdimensionierte Zellhaufen, aus phonetischen Quellen grafisch-bewegte Projektionen. Naturbilder werden zu Momentaufnahmen komplexer Wechselwirkungen oder zur Dokumentation von Schnittstellen verschiedener Galaxien. Betrachtende können durch assoziatives Erleben ein tieferes Verständnis für Beziehungsmuster und Systemdynamiken entwickeln – was letztlich auch demokratiepolitisch wirksam wird. Denn tiefgreifende, notwendige Veränderungen lassen sich in politischen Systemen nur dann dauerhaft und demokratisch umsetzen, wenn ihre Komplexität verstanden wird. Wenn Kunst dazu einen Beitrag leistet, ist weit mehr gewonnen, als man ihr gemeinhin zuschreibt.
flat1_artspace
Seit 2009 zeigt flat1_artspace thematische Gruppenausstellungen. Interdisziplinäres in Richtung Performances bildet ein Zusatzprogramm. Ein weiterer Schwerpunkt ist die Förderung des Austauschs zwischen inter/nationalen Künstlerinnen und Künstlern und das Schaffen von Netzwerken. Das Programm wird von den bildenden Künstlerinnen Karin Maria Pfeifer und Sula Zimmerberger gestaltet, die durch ihre kuratorische Tätigkeit das Spektrum ihres künstlerischen Tuns erweitern.
Eröffnung: ‚what world keeps together most inside – like Goethe’s Faust asks urgently‘
9 Nov 2025/18:00-21:00H
flat1
Radetzkystraße 4, 1030 Wien, Österreich
copyright/ flat1 artists/ links Zimmerberger, rechts Pfeifer