Kunst hat ohnehin immer schon ein spielerisches Element, keine Frage. Damit ist viel zu viel und zugleich viel zu wenig gesagt, denn das Spiel kann verschiedene Formen annehmen, zu sehen in der Gruppenausstellung „Dizzy Mouse“, und eine dieser Formen ist das Alberne: Darüber schrieb der Literaturwissenschaftler Gert Mattenklott, es behalte einen Silberblick auf die Kontrollinstanzen der Vernunft, und entziehe sich zugleich der Zweckmäßigkeit. Eine Ästhetik des Albernen und des Spiels dekliniert Catherine Bioccas Arbeit „Chasing mr B“. Das zwanzigminütige Video zeigt eine von links nach rechts scrollende Landschaft, bei der ein Protagonist verfolgt wird von einem Raptor, der auf einem weißen Hai reitet. Wie hervorberstendes Lachen detonieren die Raketen aus der Waffe des Raptors, und all das erinnert freilich an frühe Jump-and-Run-Spiele, bei denen es gilt, einen Protagonisten von links nach rechts durch eine zweidimensionale Welt voller Gegner laufen zu lassen. Diese Bildkonzeption reicht allerdings weiter zurück in die Kunstgeschichte: zu narrativen Fresken, die auch eine Lese- und Erzählrichtung von links nach rechts vorgeben. Während aber diese Bildmedien einen festen Platz in unseren Kulturtechniken haben und streng zielgerichtet angelegt sind – das Videogame ebenso wie die Heilsgeschichte aus Renaissancefresken –, lässt Biocca ihre Version im Loop laufen und unterläuft so jeden Zweck.
In Daniel Ferstls Gemälden treten noch andere Grundelemente von Spiel und Albernheit hinzu: das Groteske, die Verkleidung und ein unabdingbarer Bestandteil figurativer Malerei, nämlich die Mimesis. „Bei all dem dummen Ärger hat der Maler ganz vergessen, dass er eigentlich nur drei Babies im Trenchcoat ist“: Der Titel bezieht sich auf einen alten Scherz, der zuletzt durchgespielt wurde in der US-Serie „BoJack Horseman“. Dabei besteht der Witz in der Zeichentrickserie gerade darin, dass jede Figur auf dieses offensichtliche Kostüm hereinfällt, außer dem Zuschauer natürlich. Erschrocken schaut das oberste Baby im Gemälde aus dem Trenchcoat hervor, eine Zigarette sehr unlässig im Mund, das Ganze nervös-kindlich hingepinselt. Der Rauch verteilt sich im Bildraum, der in fasrigen Pinselstrichen und -tupfern auf weiß gemalt ist. So wie die Kinder im Mantel können unter der Oberfläche Anmaßung und Hochstaplersyndrom fast widerspruchsfrei existieren, zumindest bis zu dem Moment, in dem die Illusion bricht, jenem ästhetischen Moment also, auf das es die Kunst spätestens seit der Moderne anlegt.
Das Spiel, so sagt der Historiker Johan Huizinga, sei älter als Kultur, und jedes Spiel bedeute etwas. Nur, wie Bioccas Video und Ferstls Malerei zeigen, tun Spiele das nicht in einer einfachen oder trivialen Weise. Ein immaterielles, schwer fassbares Element wird sichtbar, das aber an ein materielles Objekt gebunden ist. Das gilt auch für Lisa Tiemanns gewundene, vierkantige Tonschlaufen, die mit verknoteten Gummischläuchen an der Wand befestigt sind. Ton, ein Material das so erdverbunden und handwerklich daherkommt, bekommt durch die Behandlung der Künstlerin eine zeichnerische Leichtigkeit, die seine Schwere des Objekts aufhebt.
Kay Walkowiak zeigt in seinen Videoarbeiten Objekte (zum Beispiel einen Polyeder, dem Kristall aus Albrecht Dürers Stich „Melencolia I“ nachgebildet), die wie traurige Fremdkörper durch verschiedene Weltgegenden getragen werden. Melancholie ist auch in Walkowiaks früheren Arbeiten ein Thema: die Schaukel unter dem Küchentisch, die drei Räder, die in verschiedene Richtungen weisen. Das sind unbetitelte Readymades. Die Plastiken aus dem Jahr 2009, die in ein längst vergangenes Jahrzehnt weisen, erinnern nicht zufällig an Marcel Duchamp, einen der größten Kindsköpfe der Kunstgeschichte, in dessen Readymades sich das Wesen der Objekte zeigt, neben noch vielen anderen Dingen. Walkowiaks Readymades hingegen balancieren zwischen dem Albernen und dem Unheimlichen, denn bei aller Freude am Spiel macht sich Frustration über die Unbenutzbarkeit der Stücke breit. Ihre widersprüchliche, dem Zweck enthobene Komposition erinnert daran, dass die Ästhetik des Traums immer nur einen kleinen Schritt vom Spiel entfernt ist.
An Fieberträume erinnert auch Laura Pirgies detailgenauer Blick: Zum Beispiel auf eine klotzige Baustellenabsperrung, einen Alltagsgegenstand. Wie unter dem Blick eines Kindes, vielleicht aus dem fahrenden Auto, kann das rätselhafte Objekt ein Gesicht und einen Mund bekommen. Pirgie collagiert ihn isoliert, so wie der obsessive Blick in „trophies (Adam’s knee)“ ein Detail isoliert. Und Nadira Husains Arbeit „Ecrasé dans le blue“, ein Siebdruck auf Leinwand, zeigt die Nähe von Utopie, Witz und Traum. Ici und là steht links und rechts oben in den Bildecken, hier und dort, darunter je eine achtarmige indische Göttin. Im Vordergrund zwei Kinder, aber eigentlich legt das Bild nahe, dass es das gleiche Kind ist. Leicht verschobene Verdopplung, nicht nur ein Merkmal von Träumen, sondern auch die bevorzugte Strategie im Spiel. Einmal im Hier, der wachen Welt, und einmal im Dort, der unsicheren Welt des Spiels.
Text: Philipp Hindahl, 2020
Franz-Josefs-Kai 3/16, 1010 Wien
Zeller van Almsick
DIZZY MOUSE
15 Nov 2020/19:10-19:15H