Die Galerie Eva Presenhuber freut sich, mit a sculpture of my left hand and five embraces ihre dritte Ausstellung des britischen Künstlers Andrew Lord zu präsentieren.
Die offene Hand: the embraces von Andrew Lord
Für den Künstler Andrew Lord besteht der Weltatlas (atlas of the world) nicht aus zusammenhängenden Landmassen oder aus politischen Territorien, die oftmals der Geografie entgegenstehen, sondern aus Teilen des Körpers: die behandschuhte Hand bedeckt eine Armlänge, die sich an einen Torso legt. Ob die von ihm geschaffenen Figuren aus Bronze oder Keramik gemacht sind – ein Ensemble von Gefäßen, ein Kreis von Schwalben, das Auf und Ab einer Landschaft in Lancashire –, jedes Werk besitzt ein doppeltes Bewusstsein der lyrischen Verkörperung, des Seins in der Welt und des Seins der Welt in ihm. Oder anders ausgedrückt: So wie Lord den Gegenstand berührt hat, so hat der Gegenstand ihn berührt. Beide haben sich durch die Berührung verändert und seine Arbeit ist geprägt von dieser Metapher.
Selbst wenn sein Sujet keine menschliche Figur ist, wie bei seinen wohlgeformten Gefäßen – statuesk, kubistisch, gemustert –, die in sorgfältig arrangierten Installationen gezeigt werden, bestätigt Lord, dass „der Eindruck des Körpers für die Entstehung des Werks wesentlich ist“. Die anregende Kraft der Körperlichkeit, die mit dem mitfühlenden Bewusstsein zusammentrifft, wird zum alles bezwingenden Mittel, das seine Skulpturen vom inaktiven Objekt zum blühenden Medium werden lässt. Diese intuitive Manipulation der eigenen Gestalt und die Fähigkeit, die Welt darum herum wahrzunehmen, verwandelt das Werk von einem zweckmäßigen Behälter zu einerm Füllhorn mit darin enthaltenen Geschichten, Erinnerungen, Liebe und Trauer. Für the embraces, einer Serie aus fünf Bronzeskulpturen, die von einer sechsten Skulptur, der Nachbildung der Hand des Künstlers in Bronze, begleitet wird, ist Lord zu seinen Notizbüchern zurückgekehrt und hat seine vergangenen Untersuchungen zu Figur und Form mit neuer Eindringlichkeit wieder aufgegriffen. Bei den Skulpturen, die zwei Männer in einer Umarmung darstellen, deren großflächige Gesichter und übermäßige Proportionen eine lange Aufzählung von modernistischen Leitmotiven wachrufen, ringt er weniger mit seinen Vorgängern, als dass er versucht, ihnen neues Leben einzuhauchen. Jede Version zeigt eine neue Haltung, einen neuen Satz von Formen aus sich berührenden Armen und einander festhaltenden Beinen. Aus den Rundungen und Arabesken dieser zweideutigen Verstrickungen entstehen willkürliche Verbindungen zwischen Ichs, die mit Fürsorge, Lust oder möglicher Gewalt nach einem anderen suchen. Zwischen ihren intimen Zuwendungen, den ungleichen Perspektiven, wer „der Liebevollere von beiden“ ist, überlassen die Männer es – inmitten der Umarmungen, die ihre Gliedmaßen ein- und auswickeln – der Darstellung, was an Sprache verschwendet, wäre. In den stillen Momenten ihrer Zuneigung schwingt die Umarmung in einem Rhythmus aus positiver Form und negativem Raum; doch es ist diese Leere der Zwischenräume, in der die Kraft der Beziehung am offensichtlichsten spürbar wird. Über jeder dieser Interaktionen schwebt die totemistische Hand, Lords eigene, wie ein Abgesandter aus der Serie atlas of the world. Dieses aufgeladene Metonym verdeutlicht die mannigfaltige Natur seiner lyrischen Verkörperung: Die Hand ist sowohl der symbolische Ort der Berührung, der im Mittelpunkt der Umarmung steht, als auch das Instrument, aus dem diese Kunstwerke hervorgegangen sind.
Der Dichter John Keats sprach davon, dass große Kunst sich immer mit „negativer Befähigung“ auseinandersetzen muss, die er als „fähig zu sein, das Ungewisse, die Mysterien, die Zweifel zu ertragen, ohne alles aufgeregte Greifen nach Fakten und Verstandesgründen“ iv definierte. Für Lord sind es die negativen Räume, um die herum er seine Formen und Figuren konstruiert, die das Gewicht von Keats Worten tragen. Ob im leeren Inneren seiner Gefäße oder in den tastenden Abständen zwischen den Körpern der Männer, es ist die Leere, die die Spur der Metapher trägt. Sie steht für die Stille in den Urnen, den subtilen Denkmälern für diejenigen, die wir verloren haben, oder für das kaum zu hörende Flüstern, das über die Bettdecke zu den Liebenden dringt, die vielleicht gerade schlafen oder auch nicht. Lords negative Befähigung in allen seinen Arbeiten, aber besonders hier in the embraces, ist die Stille, die die Pausen, die zwischen den Körpern mit der Zeit vergehen, umreißt. Der Eindruck, der in den Werken von Lord nachhallt, ist das, was ungesagt bleibt, was nicht aufgeregt nach Fakten und Vernunft sucht, sondern sich auf das Wunder, das in seiner Hand entstand ist, einlässt.
(Text Miciah Hussey)
Andrew Lord wurde 1950 in Rochdale, England, geboren und lebt und arbeitet in Europa und New York.
Andrew Lord: a sculpture of my left hand and five embraces
9 Nov 2023 - 22 Dec 2023
Galerie Eva Presenhuber
Lichtenfelsgasse 5, 1010 Wien, Österreich