Ist die Bandbreite dessen, was wir wissen, nicht zu groß, um ein bestimmtes Bild nur auf eine einzig mögliche Weise zu interpretieren?
Wir ahnen, dass sich hinter dem Bildraum eine Geschichte verbirgt, die von keiner Form der Sprache erfasst werden kann, und dass das Bild – das dadurch eine spezifische Form der Darstellung erhält – vor uns die schmerzhaften Territorien dessen öffnet, was uns anzieht, worüber wir aber nicht nachdenken wollen. Nur hier erfüllt das Bild seine vordergründige Intention: nicht zu beruhigen, sondern zu stören oder die Lethargie des des gewöhnlichen Denkens zu irritieren.
Hinter der Form einer leicht interpretierbaren Realität, die durch die Ästhetik von Libenkos Gemälden hervorgerufen wird, verbergen sich Bezüge zu einer konkreten Realität: Die Themen ihrer Gemälde werden im Allgemeinen mit ukrainischen Ereignissen in Verbindung gebracht, auch aufgrund der Herkunft der Malerin. Aber wir sollten ihre Bilder nicht einfach nur mit den Schrecken des Krieges in Verbindung bringen: Diese Interpretation ist eine Falle. Lösen wir uns von der primären Bezugnahme auf ukrainische Ereignisse, denn die Erzählungen dieser Gemälde gehen weit darüber hinaus. Die Narration und der Formalismus von Libenkos Werken stehen dem Symbolismus, dem Expressionismus oder der Arte Povera nahe. Wir finden darin auch die Nichtsubjektivität des Tachismus, Bezüge zur Kriegsgrafik der deutschen Neuen Sachlichkeit sowie die Bildsprache von Anselm Kiefer oder die Poesie von Charles Baudelaire. Tatsache ist, dass Liza Libenko ihre Formensprachein systematischer Arbeit entwickelt hat und dass jeder ihrer bisherigen Schritte auf diese Form der Aussage ausgerichtet ist.
Martin Gerboc
Donau-City-Straße 9, 1220 Wien
STRABAG Kunstforum
Die STRABAG Artlounge präsentiert sich als spannender und interessanter, zweigeschossiger Ausstellungsraum. Im Gegensatz zum gewöhnlichen, sterilen White Cube bietet die Artlounge dank ihrer Glasfassade eine wunderbare Rundumsicht auf ganz Wien. Kunstschaffende und ihre Kunstwerke korrespondieren und agieren mit der Umgebung, müssen sich jedoch auch gegenüber dieser behaupten.
LIZA LIBENKO: SIEBENGESANG DES TODES
22 Mar 2024 - 19 Apr 2024
STRABAG Kunstforum, Donau-City-Straße, Wien, Österreich
LIZA LIBENKO, ohne Titel, 2023, Foto: Marcel Rozhon