In den jüngsten Zeichnungen von Robert McNally seziert der Künstler die Bestandteile der digitalen Welt und behält dabei eine intime Beziehung zum analogen Zeichenhandwerk bei. Seine Konstruktionen rufen eine gewisse Art von anachronistischem und abstrahierten Geschichtenerzählen hervor, das sich aus dem Paradoxen, Surrealen und Unterbewussten nährt. Die Mehrdeutigkeit von Zwischenzuständen, die von Dichotomien wie langsam und schnell, Technik und Medium, Sehen und Darstellen sowie Trägheit und Beschleunigung umschlossen sind, ist für McNallys strukturelle Methodik von zentralem Interesse. Seine Darstellungen sind entropisch und überwältigend mit Informationen gesättigt, schärfen aber gleichzeitig unsere Sinne für die Absurditäten des Daseins.
Unter dem Titel „The Metawürst“ zieht seine erste Einzelausstellung in Österreich bei KOENIG2 by_robbygreif eine klare Linie zum „Metaverse“ – der Gesamtheit aller virtuellen Welten und Räume, augmentierter und physischer Realitäten und des Internets, wie sie Neal Stephenson erstmals in seinem Science-Fiction-Roman ‚Snow Crash‘ von 1992 definierte. Jedes von McNallys großformatigen Werken funktioniert wie ein Kapitel in einem Roman. Während sie alle unabhängig voneinander und austauschbar in der Art und Weise sind wie wir sie in ihrer Reihenfolge „lesen“, dienen ihre impliziten symbolischen Formen, Tropen und Motive als Hinweise, die uns helfen können, einige von ihnen zu entschlüsseln und mit ihnen in Dialog zu treten. Der zweite Teil des Titels, ‚würst‘, ist ein Wortspiel, eine metaphorische Andeutung, die auf das Füllen von Papier mit Daten und Reizen hinweist – ganz so wie eine Wurst produziert wird, sind seine Arbeiten bis an die Ränder vollgestopft mit einer Melange aus verarbeiteten Teilen.
Robert McNallys Erzählungen manifestieren sich in fiktiven Welten, die innerhalb ihrer Realität an eigene Gravitationskräfte und physikalische Prinzipien gebunden sind. „Z Manifold“ ist ein Beispiel für eine derart komplexe Schichtung von Zeit und Materialität. Hinter einem bunten Vordergrund aus verschwommenen Airbrush-Farben und Sprühlinien öffnet der Künstler eine rechteckige Grisaille als Bild im Bild. Diese beherbergt eine Gruppe von acht Köpfen, die in einem Kreis um den Querschnitt eines isometrischen Modells angeordnet sind, das die Vorhalle von Antonello Da Messinas „Der hl. Hieronymus in seinem Arbeitszimmer“ zeigt. Im Vordergrund darunter befindet sich eine Holzbox mit Marmorplatte, die in ihrer Dreidimensionalität die Grisaille selbst flacher, beinahe wie einen Spiegel erscheinen lässt. Aus acht Löchern der hölzernen Kiste treten wie aus einer medizinischen Teststation armlange Gummihandschuhe hervor. Bunte Gegenstände sind auf der Marmortheke platziert: eine zusammengerollte Karte, die Büste eines Kopfes, der scheinbar durch sich selbst hindurchschaut, ein schlecht gerenderter, digitaler, roter Apfel und ein zweiter, blauer Apfel, dem die Farbkomponenten Magenta oder Gelb fehlen, während wir ihn im Prozess des Erscheinens und Verschwindens vor unseren Augen sehen. Aber der Kern des Ganzen, das eigentliche Zentrum, ist fast unsichtbar. Es ist ein weiteres Bild im Bild, diesmal hinter dem Mittelgrund, wo der Großteil der Aktivität stattfindet. In einem geheimen Raum zeigt ein projektionsartiges Tondo eine Person, die hinter einem kleinen Schreibtisch sitzt, mit einem primitiven Computer vor sich, der das gesamte Geschehen bis in den Vordergrund der Zeichnung überwacht. Genau in diesem Raum befinden wir uns in der Zwillingsarbeit ‚Inlet Manifold‘. Aus ihr treten wir auf einer projektiven Reise in einen anderen surrealen Raum, in dem wir mit einer neuen virtuellen und rätselhaften Realität konfrontiert werden.
Alle Arbeiten der Ausstellung lassen sich als Landschaften charakterisieren, die sich zwischen inneren und äußeren Perspektiven bewegen und sowohl den Bereich des Physischen als auch des Metaphysischen überbrücken. Dies gilt auch für „Operator“, eine Arbeit, in der „Geschichte, Zeit und Wahrheit formbar sind wie Ton“, wie es der Künstler poetisch formuliert. Die Zeichnung ist in der Tat Zeuge einer Modellierung in Ton zweier einander abgewandter Figuren. Die Arbeit erfährt eine Dreidimensionalität, die durch die intensive Haptik der Figuren, an Fingerzeichnen und gestisches Kratzen auf einer Tonoberfläche erinnert. Schrauben, Essiggurken, ein Apfel, eine Aloe Vera Pflanze, Kartoffeln, Wabenkarton, ein Lichtschalter, eine mit Porträts versehene Schachtel, Maschendraht, all das findet in dieser Landschaft seinen Platz. Robert McNallys oft humorvolle und manchmal düstere Arbeiten sind parodistische Hybriden der Realität. Ihre rätselhaften, surrealen Spielräume pflegen nicht nur eine einzigartige Erzählstruktur, sondern manifestieren sich als zähflüssige Materie in Zeit.
(Andrea Kopranovic, 2021)
Robert McNally, geboren 1982 in Gateshead, Großbritannien, lebt und arbeitet in London.