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Kunst & Politik in Wien

Es läuft gut, aber es geht noch besser. Eine Analyse von Angelika Seebacher.

MiGowa, CC BY 2.0, via Wikimedia Commons

Konjunkturschwankungen und gesellschaftlicher Wandel wirken sich stark auf den Kunstsektor aus. Die Corona-Pandemie verschärfte die oft ohnehin schon prekäre, durch diskontinuierliche Arbeitsverhältnisse und unsichere Einkommensperspektiven geprägte Situation der Kunst- und Kulturschaffenden zusätzlich. Seit der Pandemie hat sich aber viel Positives getan in Wiens Kulturpolitik. Sowohl Bund als auch Stadt haben ein offenes Ohr für die Bildende Kunst und durch Aufstockung verschiedener Förderbereiche dazu beigetragen, einiges an Belastung abzufedern. Wir haben uns in der Szene umgehört.

 

FÖRDERUNGEN

Wie man dem Kunst-, Kultur- und Wissenschaftsbericht der Stadt Wien 2021 entnehmen kann, wurden z.B. Jahres-Arbeitsstipendien für Künstler:innen eingeführt, mit dem Ziel, Absolvent:innen der Kunstuniversitäten Wiens nach ihrem Studium ideale Rahmenbedingungen für ihr künstlerisches Schaffen zu bieten und sie so auch in Wien zu halten. Wiener Institutionen, wie die Kunsthalle Wien, die KÖR, die Wiener Secession, das Künstlerhaus Wien, das Kunst Haus Wien und das ZOOM Kindermuseum erhielten Gesamtförderungen. Neben dem Wiener Galerienfestival curated by konnte auch das Medienkunstfestival der Stadt Wien durch den Verein sound:frame umgesetzt werden. Unter den Einzelförderungen wurden Projekte unterstützt, die feministische Inhalte thematisieren, wie etwa das Projekt Mapping Motherhood des Vereins Schnittstelle für experimentelle Projektformate im Kunst- und Kulturbereich. Auch der Bund hat seine Fördermittel in Form von Stipendien, Galerien-Förderungen, Kunstankäufen und Ateliervergaben erhöht (472,5 Mio. € im Jahr 2021). Es gibt also viel Erfreuliches – aber doch auch noch Verbesserungspotential.

 

Vasilena Gankovska ist bildende Künstlerin und seit 2012 Vorstandsmitglied der IG Bildende Kunst. Sie beschäftigt sich in ihrer künstlerischen Arbeit mit visuellen Strategien im urbanen Raum und verarbeitet ihre Beobachtungen in Form von Bildern, Stencils und kurzen Videos, sowie in Texten. Auch sie kann der aktuellen Kunst- & Kulturpolitik bzw. -situation in Wien viel Positives abgewinnen: „In den letzten Jahren wurden viele Initiativen zu Dezentralisierung von Kunst- und Kulturangeboten unterstützt. Im Bereich der Förderwesen wurden neue Förderschienen etabliert. Zudem wurde eine Erhöhung der Projektbudgets erreicht, was für Künstler:innen mit Wien Bezug eine große Hilfe darstellt, um Projekte vor Ort zu realisieren“, so Gankovska. „Es wurde jedenfalls einiges auf der operativen Ebene erreicht, um das Förderangebot für in Wien lebenden Künstler:innen zu erweitern.“

 

Wien zeichnet sich durch seinen hohen Lebensstandard und relativ moderate Immobilienpreise aus, was jungen Künstler:innen zugutekommt. Die Stadt mag vielleicht nicht der „Nabel“ der zeitgenössischen Kunstwelt sein, ist aber auch international gesehen ein attraktiver Standort, vor allem als Basis und Ausgangspunkt für Kunstschaffende. Für Gankovska stellt sich jedoch die Frage, wie Diversität von der Wiener Kulturpolitik tatsächlich unterstützt und umgesetzt wird – konkret, welche Fördermöglichkeiten die Stadt etwa für Kolleg:innen anbietet, die gerade erst nach Wien gezogen sind und/oder mit einem Nicht-EU-Pass hier Fuß fassen möchten. Eine wichtige Maßnahme seien hier beispielsweise leistbare Arbeits- und Wohnräume, auch in Kombination. Dazu wünscht sie sich vermehrt den Dialog mit unterschiedlichen Partner:innen, etwa aus der Stadtentwicklung.

 

Künstler und Autor Gerald Nestler, der in seiner Arbeit theoretische Überlegungen mit Installation, Video, Performance, Code, Text und Sprache verbindet, sieht ein starkes Ungleichgewicht öffentlicher Förderungen innerhalb der Kunst- und Kulturszene – dieses ist auch im erwähnten Bericht ersichtlich: 2021 fielen etwa 43% des Gesamtbudgets an die Sparte Darstellende Kunst, während Bildende Kunst und Neue Medien mit nur knapp 4% bedacht wurden. „Während in manchen Feldern, wie Performance und Theater – die intern gut organisiert sind – oder Kunst im öffentlichen Raum zunehmend bessere Bedingungen herrschen, kann dies nicht von allen Kunstsparten gesagt werden“, so Nestler. „Bildende Kunst und insbesondere ‚Neue Medien‘ sind unzureichend gefördert, die Kulturpolitik lässt zeitgemäße Konzepte vermissen.“ Positiv bewertet Nestler die aktuelle Fair-Pay Debatte – wobei für ihn allerdings unklar sei, inwieweit diese die prekäre Situation vieler Kunstschaffender wirklich verbessern könne: „Die Budgets lassen dies bisher nicht erwarten. Dafür braucht es größere finanzielle Anstrengungen.“

 

EINKOMMENSSITUATION VON KUNSTSCHAFFENDEN

Bezüglich der Einkommenssituation bildender Künstler:innen laufen derzeit unterschiedliche Studien, relevante Zahlen zur Lage in Wien liegen dem IG Bildende Kunst keine vor, so Gankovska. Die aktuelle Infoquelle ist eine 2018 durchgeführte Studie der damaligen Kunst- und Kultursektion im Bundeskanzleramt zur sozialen Lage von Künstler:innen, die verdeutlicht, dass rund 37% der Kunstschaffenden in Wien von einem Gesamteinkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle leben. Für rund 50% liegt das jährliche Nettoeinkommen aus künstlerischer Tätigkeit unter 5.000 €.

Die Situation ist im internationalen Vergleich entsprechend, wobei z.B. Berlin eher in der Mitte der Einkommensskala liegt und Städte mit generell höheren Einkommen, wie z.B. Hamburg, im Vergleich besser abschneiden. In Punkto Geschlechtergleichheit und Gender Pay Gap ist die Lage ähnlich.

 

INTERNATIONALE KOOPERATION UND AUSTAUSCH

Ein weiterer ausbaufähiger Aspekt ist die Förderung internationaler Kooperationen, wie sich im Bericht der Stadt Wien 2021 herauslesen lässt. Künstlerisches Schaffen ist oftmals eng mit grenzüberschreitendem Arbeiten verbunden und die internationale Wahrnehmung bestimmt nicht selten auch über den beruflichen Erfolg. „Es wäre wünschenswert, dass die Stadt Wien den internationalen Austausch stärker ermöglicht, auch durch relevante Residency Programme, die zurzeit schlicht fehlen“, meint Gankovska und weist aber gleichzeitig darauf hin, dass internationale Kooperationen weniger im Aufgabenbereich der Stadt liegen. Dass sich in Berlin oder anderen großen deutschen Städten mehr tut in dieser Hinsicht, sei darauf zurückzuführen, dass hier ein ganz anderes Fördersystem (Organisationen wie IFA Institut für Auslandsbeziehungen oder das Goethe Institut) solche Vorhaben unterstütze – ein Vergleich wäre hier schwierig. Positiv zu erwähnen ist in diesem Zusammenhang jedoch, dass der Bund sehr wohl neben diversen anderen Stipendien auch Auslandsatelierstipendien für bildende Kunst, künstlerische Fotografie und Medienkunst vergibt.

 

BUDGET DER KUNSTINSTITUTIONEN

Galerist Emanuel Layr sieht dringenden Erhöhungsbedarf bei den Budgets der Kunstinstitutionen in Wien. Er gründete seine Galerie Layr 2011, um das Programm seiner früheren Galerie LayrWuestenhagen (2005-2011) fortzuführen und zu erweitern. Die Galerie konzentriert sich auf die Kontextualisierung und Konfrontation von Begriffen und künstlerischen Manifestationen des Konzeptuellen mit relevanten sozialen, politischen und kulturellen Fragen der Gegenwart. Layr ist der Meinung, dass es Institutionen an den nötigen Mitteln für wichtige Ankäufe fehle. Es zirkuliere großartige, internationale Kunst in Wien, die meist an gut informierte Privatsammler verkauft werde. „Ich sehe es aktuell als notwendiger denn je, die finanziellen Sammlungsmöglichkeiten von Institutionen zu verbessern, sowohl für internationale als auch nationale Kunst“, so Layr. Die Welt befinde sich in einer rasanten Entwicklung und die meisten Sammlungen seien Jahrzehnte hinterher: „Den Museen müssen wieder zweckgewidmete Budgets zur Verfügung gestellt werden, sonst wird es bald große Löcher geben und internationale Tendenzen werden kaum mehr in österreichischen Sammlungen erkennbar sein.“

 

POSTENVERGABE UND TRANSPARENZ

Ein weiteres Thema, das im Zusammenhang mit Kunst- und Kulturinstitutionen immer wieder aufkommt, ist die Forderung nach objektiven Kriterien bei der Postenvergabe von leitenden Funktionen in öffentlichen Museen. Sowohl auf städtischer als auch auf Bundesebene laufen diese Vergabeprozesse bisher wenig transparent ab.

Bei Förderprozessen hätte sich das System etwas verbessert, so Gankovska. So würden diese beispielsweise von der Kulturabteilung (MA7) klarer kommuniziert, der Beirat funktioniere. Es sei allerdings eine andere Frage, wer Zugang zum Beirat habe bzw. weshalb immer mal wieder dieselben Personen in unterschiedlichen Beiräten als Mitglieder eingesetzt werden.

 

NACHHALTIGKEIT

Wie sieht es mit Nachhaltigkeit und Ökologisierung in der Kunst- und Kulturbranche aus? Für Nestler etwa braucht es hier einen noch weiter gefassten, transdisziplinären Ansatz. Es gehe nicht nur darum, den Kunstbetrieb nachhaltig zu machen, sondern Kunst als Diskurs und Praxis für neue Wege zu verstehen – und zwar über die aktuell geführten Debatten zu Nachhaltigkeit und Ökologisierung hinaus: „Die Kunst geht auch hier voran, die Kulturpolitik ist aber bisher noch kein Partner.“ Es ist jedoch vonseiten des Bundes eine Förderschiene zum Thema Nachhaltigkeit im Kulturbetrieb in Vorbereitung.

 

Fazit: Es bleibt zu hoffen, dass sich gerade in Zeiten wie diesen, in denen ständige Veränderung die neue Norm ist, auch neue Chancen für noch mehr Augenhöhe zwischen Kunst, Kultur und Politik ergeben.

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