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Lueger in Schieflage – Klemens Wihlidals Siegerentwurf für das Lueger-Denkmal

Denkmäler gehören zum selbstverständlichen Stadtbild in Europa. Aber nicht zu allen Zeiten wollen sich die Menschen an dieselben Personen, Sachen oder historischen Ereignisse in identer Weise erinnern. Ein Text von Sabine B. Vogel.

Vorschau: So wird Klemens Wihlidals „Schieflage (Karl Lueger 3,5°)“ aussehen. © Andreas Praefcke

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So regt sich seit mehr als einem Jahrzehnt in Wien ein kontinuierlicher Widerstand gegen die Monumente für Karl Lueger (sprich: Lu-eger). Der Wiener Bürgermeister lebte 1844 bis 1910 und wusste sich bestens zu vermarkten: Mehr als 20 Gedenktafeln, Verkehrsflächen, Bauten und Denkmäler in Wien erinnern an ihn. Allerdings war er ein heftiger Antisemit, Zuwanderer bezeichnete er als „Betteljuden“, kritische Journalisten als „Tintenjuden“. Posthum wurde 1913-1916 die überlebensgroße Statue vom Bildhauer Josef Müllner für den Karl Lueger-Platz geschaffen, Müllner gilt als bekennender Nationalsozialist. Wie kann eine Stadt mit solch belasteten Denkmälern umgehen? 2009 lobte die Universität für Angewandte Kunst einen Wettbewerb zur Neugestaltung aus, Sieger war Klemens Wihlidal. Die Umsetzung allerdings blieb aus. Stattdessen folgten Gespräche, beauftragte Recherchen, wilde Sprüh-, Schütt- und Übermalaktionen.

Im Oktober 2022 stellten Nicole Six & Paul Petritsch eine sperrige 39 Meter lange Holzkonstruktionen auf die Grünfläche vor dem Denkmal am Stubentor: Umrisslinien von 16 über Wien verstreuten Lueger-Gedenkobjekte, von Büsten bis zu Tafeln. Sie wollten visualisieren, wie sehr Lueger im Stadtbild präsent ist.

Six/Petritsch: Lueger Temporär, Installation, 2022, Doktor-Karl-Lueger-Platz, 1010 Wien. © Iris Ranzinger/KÖR GmbH, 2022

2020 schrieb die Stadt Wien einen Wettbewerb aus, eine 12köpfige Jury aus Wissenschaftlern, Politikern, Kuratoren und Künstlern bestimmte den Sieger: Klemens Wihlidal. 1982 in Wien geboren, studierte Wihlidal Musik und Architektur. Er will das Monument samt Sockel um 3,5 Grad zur Seite neigen. „Sein Entwurf verwandelt das Denkmal in eine Störung im öffentlichen Raum. (…) Die minimale formale Irritation erweist sich in der Stadt als starkes Zeichen“, erklärt die Jury ihre Entscheidung. So werde jetzt die Monumentalität gebrochen und ein geschärftes Bewusstsein in der Bevölkerung erreicht.

„Ganz deutlich und doch dezent“, fasst Wihlidal seine Idee zusammen. Dadurch verliere Lueger seine Balance, was eine affirmative Betrachtung unterlaufe. Kulturstadträtin Verena Kaup-Hasler betont während der Pressekonferenz am 31. Mai zur Vorstellung des Siegerentwurfs, die Stärke des Entwurfs sei es, „den Bruch mit Lueger in einem symbolischen Zeichen deutlich zu vollziehen“. Warum wurde der Entwurf nicht wie geplant bereits 2011 umgesetzt? „Die Öffentlichkeit war damals noch nicht bereit für einen Eingriff“, so Kaup-Hasler. Warum wird das Denkmal nicht gleich abgebaut? „Über eine Leerstelle kann man nicht sprechen.“ 500.000 Euro sind für die Umsetzung veranschlagt, als erstes wird das aktuell mit blauer Farbe überschüttete Denkmal gereinigt, statisch verstärkt und dann in Schieflage gebracht.

 

Wettbewerbsjury: Iris Andraschek, Aleida Assmann, Katharina Blaas, Herwig Turk, Markus Figl/Lucia Grabetz, Felicitas Heimann-Jelinek, Sonja Huber, Franz Kobermaier, Hanno Loewy, Herbert Posch, Eva-Maria Stadler, Thomas D. Trummer, Heimo Zobernig.

Der Entwurf des Wettbewerbssiegers Klemens Wihlidal © Klemens Wihlidal

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