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Zu schön, um wahr zu sein

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Text: Michael Huber

Paulus Rainer studierte Kunstgeschichte in Innsbruck und Wien. Seit 2004 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter im Kunsthistorischen Museum, wo er maßgeblich an der Neuaufstellung der Kunstkammer mitwirkte und zahlreiche Ausstellungen zur Schatzkunst kuratierte. 2017 dissertierte er über Facetten des habsburgischen Sammelwesens anhand der Bestände der Kunstkammer und der Schatzkammer des Kunsthistorischen

Salomon Weininger, 1827 Ungarisch-Hradisch – 1879 Stein(?) Reliquiar mit einem Dorn der Krone Christi; Fälschung; Original: London, British Museum, Waddesdon Bequest 1860/70 H. 30,3 cm; B. 13,1 cm; T. 7,5 cm, Kunsthistorisches Museum Wien

Ein elaboriertes Fälschernetzwerk trieb im Wien des 19. Jahrhunderts sein Unwesen. Die Mechanismen ähnelten denen von heute.

Das Kriterium der Echtheit ist für die Wertschätzung von Kunst von zentraler Bedeutung – doch was passiert, wenn eine Nachahmung zu schön ist, um wahr zu sein? Fälle, in denen kunstfertige Imitatoren und betrügerische Fälscher Kenner täuschten, begegnen seit der Antike immer wieder, und nicht selten erhielten diese Beifall von ihren Zeitgenossen. Wenn man Paulus Rainer zuhört, wirkt es bisweilen so, als würde er nicht von historischen Episoden, sondern von den jüngsten Fälscherskandalen wie jenem um Wolfgang Beltracchi erzählen.

Rainer ist Kurator für die Kaiserliche Schatzkammer und die Kunstkammer Wien, die beide zum Verbund des Kunsthistorischen Museums zählen. Bereits der Schöpfer des berühmtesten Kunstkammer-Objekts, der „Saliera“, rühmte sich einst, Antiken täuschend echt nachgemacht zu haben: Benvenuto Cellini (1500–1571) wollte damit wohl seine eigene Kunstfertigkeit betonen. Mit mehr krimineller Energie agierte aber ein gewisser Salomon Weininger im Wien des 19. Jahrhunderts, dessen Umtriebe Rainer im Detail erforscht hat. 14 Objekte der Kaiserlichen Schatzkammer, sagt der Kurator, sind heute als Kreationen aus dem späten 19. Jahrhundert bekannt, die Weininger Sammlern und Kuratoren Kustoden geschickt als „mittelalterliche“ Objekte unterjubelte.

Dabei fälschte der 1822 in der heutigen Slowakei geborene, später in Krems und dann in Wien ansässige Weininger die begehrten Reliquiare, Heiligenstatuetten oder Hausaltäre gar nicht selbst: Im Kern war er Antiquitätenhändler und begnadeter Netzwerker, der die Begeisterung der historistischen Epoche für alles Alte geschickt auszunutzen wusste.

Nachahmungen musealer Objekte wurden damals sehr geschätzt, galten sie der Bildungselite doch als Mittel, den allgemeinen Geschmack zu heben und Kunsthandwerker zu schulen. Museen – darunter das Museum für Kunst und Industrie, heute MAK Wien – gaben dafür bereitwillig Objekte ihrer Sammlung frei. „Der Schritt von der legalen Kopiertätigkeit im Sinne historistischer Nachahmung hin zur Imitation als betrügerischer Fälschung war ein kleiner, und Weininger bewegte sich zunächst in einem Graubereich, der zwischen diesen beiden Polen lag“, schrieb Rainer in einem 2008 publizierten Aufsatz.

Weiningers Abkehr vom legitimen Kopieren flog 1876 auf: In zwei Gerichtsprozessen wurde dem Händler nachgewiesen, dass er aus dem Palast Palais des Herzogs von Modena im dritten Wiener Gemeindebezirk über vier Jahre hinweg Objekte „zur Nachahmung“ entnommen, statt der Originale aber die Fälschungen an die Sammlung retourniert hatte. Möglich war dies, weil der Kustos des Palais Modena, Franz von Discart, mit Weininger unter einer Decke steckte. Darüber hinaus wurde Weininger auch der Verkauf zweier gefälschter Hausaltäre nachgewiesen. Mit Elementen einer Kette, die dem Grafen Daun gestohlen worden war, und einer erfundenen Provenienz, für die ein adeliger Bekannter Weiningers bürgte, hatte man Echtheit konstruiert.

Den Kunsthandwerkern, die die Teile für die angeblichen Mittelalter- und Renaissanceobjekte fertigten, war teils gar nicht bewusst, dass sie an einem Schwindel mitarbeiteten, erklärt Rainer: „Weininger hat die Arbeit sehr geschickt auf mehrere Leute verteilt.“ Kopien nach Gipsabgüssen oder Fotos anzufertigen war für Kunsthandwerker nicht weiter verwerflich, und noch im Gerichtsprozess rühmte man sich, „dass wir hier in Wien für die Anfertigung von Imitationen Künstler besitzen, die ihre Collegen aus der Zeit der Originale vollständig erreichen“. Heute erkennt der Experte – etwa anhand der Farbgebung gewisser Emailteile – rasch die Kreationen des 19. Jahrhunderts.

In der Zeit jedoch machte der dominante Geschmack so manchen Connaisseur blind: Einzelne Sammler wie die Rothschilds übten starke Vorbildwirkung aus, nicht selten wurden historische Objekte mit zeitgenössischen Ergänzungen auf diesen Geschmack hin getrimmt. Bis heute, sagt Rainer, werden Objekte enttarnt. Freilich war Weininger nicht der Einzige, der Unechtes in Umlauf brachte. Über Experten, die Fälschern aufsaßen, ergoss sich damals wie heute Häme, bestätigt Rainer. „Doch man darf nicht vergessen: Man hat immer auch Experten gebraucht, um solche Dinge aufzuklären.“

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