EXHIBITIONS

Abramović

Die ALBERTINA MODERN feiert die Pionierin der Performancekunst mit einer großen, eindrucksvoll inszenierten Personale. Ein Text von Sabine B. Vogel.

Marina Abramović, The Hero, 2001. Einkanalvideo (Schwarz-Weiß, Ton), Vitrine mit Gegenständen aus dem Besitz von Vojin Abramović, Video: 14 Minuten, 21 Sekunden; Gegenstände: variable Maße. Courtesy of the Marina Abramović Archives, and Galeria Luciana Brito © Courtesy of the Marina Abramović Archives / Bildrecht, Wien 2025

Spätestens seit ihrer spektakulären Ausstellung „The Artist is present“ 2010 im New Yorker MOMA ist Marina Abramovic (geb. 1946 in Belgrad) die unumstrittene Königin der Performance-Kunst: Drei Monate lang saß die Künstlerin täglich stundenlang auf einem Stuhl, während ihr gegenüber wechselnde Besucher:innen Platz nahmen – wortlos, regungslos, nur mit Blickkontakt.

 

„Ich habe nie ohne Publikum arbeiten können“, erklärte sie 1990 in einem Statement für das Magazin Kunstforum, „vor einem Publikum zu arbeiten weckt die Konzentration, gibt mir die Kraft, meine normalen menschlichen Grenzen zu überschreiten“.

Marina Abramović, Freeing the Voice, 1975 Performance, 3 Stunden, Studentski kulturni centar (SKC), Belgrad Courtesy of the Marina Abramović Archives © Courtesy of the Marina Abramović Archives / Bildrecht, Wien 2025

In ihren früheren, anfangs noch gemeinsam mit ihrem Partner Ulay durchgeführten Performances führte dieser Anspruch sie bis an bzw. über die Schmerzgrenze hinaus. Jetzt sind viele ihrer bis heute wegweisenden Performances in der Albertina Modern in einer umfassenden, grandios inszenierten Retrospektive zu sehen, die eindrücklich nicht nur die Größe, sondern auch anhaltende Aktualität des Werkes zeigt.

 

Dafür ist die in Kooperation mit der Royal Academy of Arts (London) entstandene Ausstellung als ein chronologischer Rundgang angelegt – was dank eines unerwarteten Umstands perfekt gelingt. Denn ursprünglich sollte die Schau im BA Kunstforum stattfinden. Durch die überraschende Schließung im Zuge der Benko-Pleite wurde ein Ausweichen notwendig. So konnte Kuratorin Bettina Busse jetzt in den großen Erdgeschoßräumen der Albertina Modern den Parcours durch Abramovics mehr als fünfzigjähriges Werk mit großformatigen Projektionen als Zentrum inszenieren und vier Life-Performances re-inszenieren – wie etwa die beiden Nackten, die in einem Türdurchgang einen 40 Zentimeter breiten Spalt freilassen, durch den die Besucher:innen sich hindurchzwängen müssen. Ausgeführt erstmals 1977, hat „Imponderabilia“ auch fast fünfzig Jahre später keinerlei Intensität verloren.

Ulay / Marina Abramović, Imponderabilia, 1977 Performance, 90 Minuten, Galleria Comunale d’Arte Moderna, Bologna Courtesy of the Marina Abramović Archives © Ulay/Marina Abramović. Courtesy of the Marina Abramović Archives / Bildrecht, Wien 2025; Foto: Giovanna dal Magro

 

 

Großartig auch die historischen Fotografien, die von Abramovics früher Entscheidung zeugen, ihre temporäre Kunstform konsequent zu dokumentieren. So sehen wir Aufnahmen aus den 1970er Jahren, einige darunter, die in der Innsbrucker Galerie Krinzinger stattfanden – bemerkenswert, dass an einem so abseits der Zentren gelegenen Ort derartig wegweisende Werke aufgeführt wurden! Ursula Krinzinger war es auch, die Abramovic 1975 nach Prinzendorf zu Hermann Nitsch mitnahm, wo sie als Akteurin mitwirkte – ein Einfluss, den man deutlich in einigen Werken spüren kann. Anders als bei dem Wiener Aktionisten steht vor allem in ihren frühen Werken allerdings der Schmerz im Zentrum, den sich die Künstlerin selbst zufügt oder das Publikum dazu auffordert.

Marina Abramović, Lips of Thomas, 1975 Performance, 2 Stunden, Galerie Krinzinger, Innsbruck Courtesy of the Marina Abramović Archives © Courtesy of the Marina Abramović Archives / Bildrecht, Wien 2025

Manchmal bringt ihre konsequente Abgabe jeglicher Kontrolle sie sogar an den Rand der Bewusstlosigkeit. Mittäterschaft bei Kontrollverlust, Passivität mit Gefahr, totale Erschöpfung, ein Austesten psychischer Grenzen – diese Aspekte durchziehen ihr Werk bis heute, wenn auch in den aktuellen Fotografien weniger drastisch, in denen sie in starren Posen abgelichtet ist. Hier ersetzt ihre Suche nach spirituellen Transformationen die früheren Grenzüberschreitungen. Bei einigen blitzt sogar Humor auf, wenn sie sich eine überdimensionale, spitze, knallrote Energiehaube aufsetzt – sogar beim Bügeln.

Marina Abramović, Four Crosses, 2019 je 550 x 357 x 29 cm, Corian, Aluminium, Eisen, Eiche mit LED-Paneelen Courtesy of the Marina Abramović Archives © Courtesy of the Marina Abramović Archives / Bildrecht, Wien 2025