EXHIBITIONS

Nach dem Rausch

CRITIC'S PICKS FOR VIENNA ART WEEK:
Die Einsamkeit des Satyrs, curated by Andrea Bellini

Man kennt sie: die opulenten Barockschinken von Rubens, Tiepolo und Co. Die Leinwand ist vollgepfropft mit allerlei Körpern, die sich ekstatisch an irgendeinen meist ziemlich weinseligen Bacchus schmiegen. Nymphen, Jünglinge und verwunschene Tiere sind zu erkennen, und, natürlich, etwas de-zentriert, den nicht mehr ganz so standfesten Gott im Bildzentrum entweder stützend, oder entspannt unter irgendeinem Baum im Bildhintergrund liegend: ein Satyr. Der Satyr ist vieles zugleich: loyaler Trinkkumpan, raffinierter Trickster, dämonischer Quälgeist, Verkörperung der Freuden – aber auch der Ambivalenzen – von Kontroll- und Ichverlust.
In der aktuellen, im Rahmen von curated by, von Andrea Bellini kuratierten Show bei Christine König „Die Einsamkeit des Satyrs“ ist der immer etwas entrückt wirkende mythische Taugenichts vor allem Metapher für eine Methode: eine Weise, Dinge und Diskurse ‚vom Rand’, von einer Position der Nicht-Zugehörigkeit aus zu kommentieren. Das Themenfeld der Ausstellung – Identität(sverlust), Ekstase, die Bürde (und das Privileg), Subjekt zu sein etc. – ist ebenso divers wie die Liste der beteiligten KünstlerInnen. Zu sehen sind Arbeiten von Eleanor Antin, Arian Dean, Jimmie Durham, Hamishi Farah und Emilio Prini. Worin sich diese – in Hinblick auf Background, Bekanntheit, Themen, Techniken und Zugänge – so unterschiedlichen Positionen (lose) treffen, ist das Spiel mit Gesten des Entzugs, der Verweigerung, der Verwandlung und der Travestie.

ARIA DEAN Cipher (5), 2021, Courtesy Christine König Galerie, Wien und die Künstlerin Foto: Simon Veres

Den Anfang macht der Maler Hamishi Farah mit einem enigmatischen Porträt der Künstlerin Deborah Joyce Holman (ihrerseits eine große Verwandlungs- und Verweigerungskünstlerin). Zwischen Sicht- und Unsichtbarkeit oszillierend, blickt sie uns herausfordernd aus einem pechschwarzen Bildraum entgegen. Gleich daneben treffen wir auf eine Darstellung des titelgebenden Satyrs (die einzige explizite Referenz auf den Ausstellungstitel), eine von Arian Dean eigens für die Show produzierte, raumhohe Wandarbeit, und, ebenfalls, ein Bild des Entzugs: Die Zeichnung, so scheint es, ist kurz davor, sich im Weiß der Galeriewand aufzulösen. Daneben lesen wir in einem kleinen Barockspiegel einen Satz über die Ambivalenz von Rausch und Ekstase: „She does not die from it, except as a subject.“
Weiter geht es mit Selbstporträts von Eleanor Antin (als bärtiger König) und Emilio Prini (als melancholischer Clown), den heimlichen Highlights der Ausstellung: unaufdringlich, nachdenklich, elegant die Waage haltend zwischen Pathos und Ironie. Das Prädikat „satyrisch“ (sollte es ein solches Wort geben) wäre hier ohne Zweifel angemessen. Etwas salopper mutet dagegen Jimmie Durhams Arbeit „Bruises“ an der Wand vis-a-vis an, eine Reminiszenz an die Schattenseiten des bacchantischen Kontrollverlusts. Wir sehen das stark vergrößerte Konterfei des Künstlers in sechsfacher Ausführung mit heftigen Blutergüssen an Augen und Mund. Angeblich hatte Durham sich nach einer Zahn-OP entgegen ärztlichen Rats betrunken. „Bruises“ dokumentiert das Ergebnis. Ein mit allen Wassern (und anderen Substanzen) gewaschener Satyr sieht anders aus.

HAMISHI FARAH Black Lena Dunham, 2020, Courtesy Christine König Galerie, Wien und der Künstler Foto: Simon Veres

Wer pointierte, dicht gewobene, ‚deftig-barocke‘ Referenzcluster in Bellinis Show erwartet, wird enttäuscht werden. Die ausgewählten Werke kommunizieren mehrheitlich nur sehr lose miteinander. Einige – vor allem Farahs – Arbeiten wirken in dem Setting (obwohl, für sich genommen, stark) fast ein bisschen arbiträr. Eine Fundgrube ist „Die Einsamkeit des Satyrs“ aber dennoch. Der mythische Zecher mag sich nicht überall in der Show unter seinesgleichen wiederfinden. Einsam wäre er in ihr aber sicher nicht.

(Maximilian Steinborn)

ELEANOR ANTIN King with Paint Brush from "The King and His Subject", 1978 Courtesy Christine König Galerie, Wien und die Künstlerin Foto: Simon Veres
JIMMIE DURHAM Ohne Titel (Radio), 2005 Courtesy Christine König Galerie, Wien und der Künstler Foto: Simon Veres
HAMISHI FARAH Southsideju1, 2020 Courtesy Christine König Galerie, Wien und der Künstler Foto: Simon Veres
EMILIO PRINI self-portrait as a clown, 1967 Courtesy Christine König Galerie, Vienna and the artist Photo: Simon Veres
Exhibition view DIE EINSAMKEIT DES SATYRS, curated by Andrea Bellini, Christine König Galerie, Vienna 2021 Photo: Simon Veres
Exhibition view DIE EINSAMKEIT DES SATYRS, curated by Andrea Bellini, Christine König Galerie, Vienna 2021 Photo: Simon Veres

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