EXHIBITIONS

Verborgene Gedanken visueller Natur

Kunst am Ursprungsort der Psychoanalyse

Dauer der Ausstellung
23.09.202031.12.2021
Extra info

Monika Pessler ist Direktorin des Sigmund Freud Museum, das im September 2020 nach umfangreichen Renovierungs- und Erweiterungsmaßnahmen wieder eröffnet. Erstmals sind alle Privaträume der Familie zugänglich, in den ehemaligen Ordinationsräumen ist eine Sammlung konzeptueller Kunst zu sehen.

Ausstellungsansicht: Verborgene Gedanken visueller Natur © Oliver-Ottenschlaeger, Sigmund Freud Privatstiftung

Im Haus Berggasse 19 lebte und arbeitete Sigmund Freud von 1891 bis zu seiner Flucht vor den Nationalsozialisten im Jahr 1938. Heute befindet sich in den ehemaligen Wohn- und Praxisräumen das Sigmund Freud Museum, das neben originalen Einrichtungsgegenständen Freuds, eine Bibliothek und ein umfangreiches Archiv umfasst. Nach eineinhalb jähriger Umbautätigkeit erstrahlt das Sigmund Freud Museum seit 29. August 2020 in neuem Glanz.

Die ehemaligen Ordinationen atmet heute noch die Aura der frühen Entwicklungsgeschichte der Psychoanalyse, die Räume im Hochparterre, in denen Freud von 1896 bis 1908 ordinierte, beherbergen heute eine kleine, aber feine Sammlung konzeptueller Kunst. Monika Pessler, Direktorin des Sigmund Freud Museum, spricht darüber, was die Besucherinnen und Besucher in der Ausstellung konzeptueller Kunst erwartet.

Frau Direktorin Pessler, die Sammlung des Sigmund Freud Museum geht auf die Rauminstallation „Zero & Not“ zurück, die Joseph Kosuth 1989 anlässlich des 50. Todestages Sigmund Freuds verwirklichte. Können Sie uns mehr über diese Arbeit erzählen? Welche Rolle spielt Kosuth im Entstehen der Sammlung?

Monika Pessler: Als Joseph Kosuth 1989 die Installation „Zero & Not“ in der Berggasse 19 verwirklichte, lud er internationale Künstlerkollegen und -kolleginnen zur Teilnahme ein: Vor Textpassagen aus Freuds Traumdeutung an den Wänden – teilweise bis zur Unkenntlichkeit durchgestrichen – waren unter anderem Werke von Ilya Kabakov, John Baldessari und Pier Paolo Calzolari zu sehen. In weiterer Folge wurden diese Arbeiten von den Künstlern und Künstlerinnen dem Museum gestiftet. Anlässlich einer weiteren Präsentation 1997 und einer Ausstellung im 21. Haus des Belvedere 2014 konnte die Kunstsammlung um weitere Schenkungen erweitert werden – darunter Werke von Sherrie Levine, Haim Steinbach, Heimo Zobernig, Wolfgang Berkowski und Susan Hiller, um nur einige zu nennen. Joseph Kosuth war der Begründer dieser Kunstsammlung und initiierte ein „lebendiges Monument“, wie er meint, um den Einfluss psychoanalytischer Denkweisen „auf den kulturellen Horizont, der unser Bewusstsein bildet“, darzustellen.

Monika Pessler, Foto: Stephanie Letofsky © Sigmund Freud Privatstiftung

Was haben Psychoanalyse und Kunst gemeinsam?

Monika Pessler: In ihren Methoden und Herangehensweisen eröffnen sich uns zwischen den Künsten und der Psychoanalyse zahlreiche Parallelen. Freud selbst beschreibt diese – vor allem im Hinblick darauf –, dass die Psychoanalyse wie die Kunst häufig den wenig beachteten Details – unterdrückten und verborgenen psychischen Zuständen zum Beispiel – ihre Aufmerksamkeit widme. Insbesondere in Freuds Beschreibung der „Traumarbeit“ wird die Nähe zwischen psychoanalytischen Auffassungen und künstlerischen Herangehensweisen evident, da die Visualisierung „verborgender Gedanken“ im Traum, die Entstehung von „Traumbildern“, den bildhaften Manifestationen der Konzeptkunst nicht unähnlich ist.

Die Ausstellung, die den Titel „Verborgene Gedanken visueller Natur“ trägt, nutzt die im Original erhaltene Raumstruktur der „ersten“ Ordination Freuds. Was erwartet uns in den einzelnen Räumen?

Monika Pessler: Mit der original erhaltenen architektonischen Struktur von Freuds ehemaliger Wirkungsstätte ist nicht nur der „Ursprungsort der Psychoanalyse“ eindeutig definiert. Zudem korrespondieren die Inhalte, die Freud hier einst beschäftigten, mit jenen der ausgestellten Kunstwerke:
Im Wartezimmer steht Kosuths Werk O. & A./F!D! (TO I.K. AND G.F.), das sich auf Freuds Text Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten bezieht, Heimo Zobernigs Arbeit gegenüber, die von einem Briefzitat Freuds ausgehend der Repräsentationsmacht von Denkmälern ironisch begegnet. Im anschließenden Behandlungszimmer kommentieren Werke von Franz West und Haim Steinbach das Phänomen des psychoanalytischen Settings – die Ikone der Couch und die sogenannte „Talking Cure“. Georg Herold widmet sich dem kunstgeschichtsträchtigen Sujet „Amor und Psyche“, wohingegen John Baldessari einen Beitrag zum Kapitel des „Unheimlichen“ liefert, mit dem sich Freud intensiv auseinandersetzte. Susan Hiller dokumentiert als Künstlerin und Forscherin ihre Bearbeitung des Freud Archivs im Londoner Freud Museum. Auf der Veranda äußern sich Wolfgang Berkowski und Sherrie Levine zum Thema Erinnerungs- und Trauerarbeit. Im ehemaligen Arbeitszimmer Freuds, wo er die Traumdeutung verfasste, befinden sich zwei Werke, die ähnlich wie das Gründungsdokument der Psychoanalyse, stark autobiografisch geprägt sind.

Geschlechterdifferenz und Begehren werden in Pier Paolo Calzolaris Wandinstallation „AVIDO“ in der Küche von Freuds Praxis in den Fokus genommen.

So stellen die Präsentationsräume der Kunst ein Korrelat ihrer Konzepte dar und vice versa. Dieses wechselseitig korrespondierende Verhältnis zwischen den Exponaten und ihrem Umraum erschließt sich im Zuge der Begehung der „ärztlichen Wohnung“, die mit all ihren Bedeutungszuschreibungen zum Ausstellungsdisplay avanciert.

Ist die Schau in den Ordinationsräumen als Dauerausstellung konzipiert? Was sind weitere Pläne für die Sammlung und die Ausstellungsräume?

Monika Pessler: Vorläufig werden die Werke der Konzeptkunstsammlung hier permanent zu sehen sein, bis vielleicht eines Tages ein weiterer Umbau des Hauses eine zusätzliche Erweiterung der Ausstellungsflächen ermöglicht, um das Hochparterre allein für die historische Erzählung der frühen Entwicklungsgeschichte der Psychoanalyse zu nutzen und die Kunst in eigenen Räumlichkeiten nach den Prinzipien des „White Cube“ auszustellen – ob das tatsächlich eine Verbesserung oder einen Fortschritt mit sich bringen würde, wage ich zum heutigen Zeitpunkt allerdings zu bezweifeln. Darüber muss man noch nachdenken.

Kunst berührt uns oft auf sehr persönliche Art. Welche der Arbeiten liegt Ihnen besonders am Herzen?

Monika Pessler: „AVIDO“ von Pier Paolo Calzolari in Freuds ehemaliger Küche – und natürlich die aktuelle Installation des amerikanischen Künstlers Robert Longo im „Schauraum Berggasse 19“ aus seiner Serie „Monsters“ von 2011. Seit Ende der 1990er-Jahre arbeitet Longo bevorzugt mit Kohle. Der ausgestellte Print seiner Kohlezeichnung „Ohne Titel (Hellion)“ entstand zur selben Zeit wie der „Freud Cycle“, in dem sich Longo intensiv mit historischen Fotografien von Freuds Wirkungsstätte beschäftigte. In der kontrastreichen Schwarz-Weiß-Zeichnung einer brechenden Welle treten Bedrohung und Gefahr offen zutage treten. Laut Longo stellt die Bildwerdung der „Unbezähmbarkeit der Ozeane“ im Vergleich zum „Freud Circle“ ein Gegengewicht zur „menschlichen Vernunft“ dar, wie sie sich in den Abbildern von Freuds Umfeld widerspiegelt. Auch der in Klammern eingefügte Titel „Hellion“ („Teufelsbraten“) unterstreicht die Möglichkeit der unvorhersehbaren Entfesselung innerer Kräfte: Die groß dimensionierte, schaurige schöne Wasserformation wird zum Inbegriff von Gewalt und Zerstörung, die sich sinnentleert Bahn bricht. Robert Longos Metaphorik zeugt nicht nur vom künstlerischen Interesse an den psychischen Dimensionen menschlicher Bewusstwerdung und scheint sich deshalb gut in den „Schauraum Berggasse 19“ einzufügen. Das Bild einer Welle, die – obwohl hinter Glas gebannt – den Horizont der Betrachterinnen und Betrachter drohend übersteigt, liefert in Zeiten der Corona-Krise unseren gegenwärtigen individuellen sowie kollektiven Ängsten eine ausdrucksstarke visuelle Entsprechung.

Abschließend noch zwei Fragen zum Sigmund Freud Museum im Gesamten. Was war die größte Herausforderung während des Umbaus?

Monika Pessler: Das zu beantworten und zu beurteilen fällt schwer, – dafür scheint mir der Abstand zu diesem mehrjährigen und auf so unterschiedlichen Ebenen intensiven Projekt noch zu gering. Ich denke, der Schritt von der Konzeption in die Realisation war am aufregendsten, aber was heißt das schon?

Worauf freuen Sie sich nach der Wiedereröffnung ganz besonders?

Monika Pessler: Auf weitere Projekte an und in diesem Haus-Museum, das als „Ursprungsort der Psychoanalyse“ im Besonderen auch zu unseren gegenwärtigen und gesellschaftspolitischen Fragestellungen einen sinnstiftenden Beitrag leisten kann.

(Interview: Barbara Libert)

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