EXHIBITIONS

Cevdet Erek, Mimi Ọnụọha, Duane Linklater – in der Wiener Secession wird Wissen kreiert

Wie dies geschieht und wie Wissen weitergegeben wird, mit dieser Frage beschäftigen sich die drei aktuellen Ausstellungen in der Künstler:innenvereinigung am Naschmarkt. Ein Text von Sabine B. Vogel.

Mimi Ọnụọha, „no one told me“, 2025, Ausstellungsansicht „Soft Zeros“, Secession 2025. Foto: Sophie Pölzl

L und R steht in großen Buchstaben außen an der Fassade der Secession. Daneben hängen dicke Lautsprecher, aus denen Sound schallt. Die Töne folgen einem repetitiven Muster, mit dem er auf die Ornamente des Jugendstilbaus reagiert habe, erklärt Cevdet Erek beim Presserundgang. Die Buchstaben stehen für links und rechts, was ein „Spiel mit Symmetrien“ sei. Oben im Graphischen Kabinett spricht der 1974 in Istanbul geborene Künstler auf den Wänden unseren Tastsinn an, die Holzobjekte sind an das Blindenalphabet angelehnt.

Cevdet Erek, Sound Ornamentation, Ausstellungsansicht, Secession 2025. Foto: Oliver Ottenschläger

 

Es ist eine der drei höchst unterschiedlichen Ausstellungen, die doch unter einer gemeinsamen Frage stehen, wie Secessions-Präsidentin Ramesch Daha betont: „Wie wird Wissen kreiert, wie weitergeben?“ Antwortet Erek darauf mit Hör- und Tasterlebnissen, so thematisiert Mimi Ọnụọha in der Unteren Galerie „soft zeros“ – also Werte, die als Abwesenheit oder Inaktivität gelesen werden. Für die 1989 in Italien geborene, in New York lebende Schwarze Künstlerin sei es eine Metapher für Macht und Unsichtbarkeit in Datensystemen, lesen wir im Pressetext. Es veranschauliche, wie Leere politisch hergestellt wird.

 

Ọnụọha gibt uns dafür ein gar nicht abstraktes Beispiel: In der Unteren Galerie zieht sie mehrere Absperrbande ein. Darauf lesen wir „No one told me“ oder „It isn’t my fault“ – Phrasen, mit denen Menschen eine Mitschuld leugnen, wie es heißt. Die Bänder erzeugen eine unheimliche Atmosphäre, als handele es sich um einen Tatort – was Absicht ist. Denn wie in ihrem Video thematisiert, referiert ihr Beitrag auf „Sugar Lands 95“: 2018 fand man in Texas auf dem Gelände einer ehemaligen Gefängnisfarm 95 Leichen von Afroamerikaner:innen, die Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts zur Zwangsarbeit eingesetzt worden waren.

Mimi Ọnụọha: vorne: "no one told me", 2025, hinten: "everything you bury will come back up again", 2025. Ausstellungsansicht "Soft Zeros", Secession 2025. Foto: Sophie Pölzl

Ähnlich Verweis-intensiv, aber strikt autobiographisch verankert inszeniert Duane Linklater seinen Beitrag im Hauptraum. Hier wird das Wissensthema als Hinterfragung von Museumskonventionen umgesetzt. Denn der 1976 in Kanada Geborene zeigt uns einige „von seinen Vorfahren ererbte Aufbewahrungspraktiken“. Ob damit die Stahlgerüste gemeint sind, in denen belanglos erscheinende Alltagsobjekte platziert sind? Oder die Decken über den Lautsprechern?

 

Prinzipiell ist dieser Ansatz, ein eigenes, nicht von unserem westlichen Kunstkanon übernommenes Präsentationssystem zu entwickeln, ein grandioser und dringend notweniger Ansatz – wer ausgebaute Wege benutzt, wird nie zu neuen Orten gelangen. Allerdings sind Linklaters Gerüste keineswegs neu, wenn auch ein interessanter Ansatz, die institutionellen Wände zu vermeiden – hingen dann nicht doch einige seiner Farbe-auf-Leinwand-Kreationen genau dort. Und reicht es aus, das Familienarchiv in eine Wiener Kunstinstitution zu transferieren, um eine „Verknüpfung“ des Museums – was die Secession eh nicht ist – mit „seiner kolonialen Kehrseite“ herzustellen? Mitten im Raum steht ein riesiger Vogel, ein Kranich, wie wir lernen – ein typisches First Nation-Symbol, der alles überwacht. Denn Linklater ist Omaskeko Ininiwak von der Moose Cree First Nation – ändert das unsere Leseweise der Ausstellung, führt das Wissen um die Herkunft zur Neubewertung der Frage „Wer vermittelt was, wer redet?“

 

Linklater gehört zu den Kunstmarktstars der indigenen Künstler:innen, in seinem großartigen Beitrag für die Sao Paulo Biennale oder der beeindruckenden Personale in MCA Chicago arbeitete er mit Tüchern und Skulpturen, die in ihrer Formensprache diese Fragen aufgriffen. In der Secession ist alles nur kryptisch, selbst Titel wie „Ghost of Xmas Future“ oder „never eat shredded wheat“ erhellen die Bedeutung nicht. Er selbst will keine Auskunft geben – wie aber sollen andere Stimmen gehört werden, wenn es nur auf Spekulation basieren kann?

Duane Linklater, "mâcistan". Ausstellungsansicht Secession 2025. Courtesy des Künstlers, Catriona Jeffries Vancouver, kurimanzutto. Foto: Iris Ranzinger.