UNKATEGORISIERT

Suche nach dem Selbstbild

Ausstellungsansicht „Kalter Krieg und Architektur“ © Architekturzentrum Wien, Foto: Lisa Rastl

Das Architekturzentrum Wien (Az W) widmet sich in seiner großen Herbst-Ausstellung der Rolle Österreichs im Kalten Krieg. Kuratorin Monika Platzer erklärt im Interview, was dieser mit Architektur zu tun hat.   Wie kommt man auf die Idee, den Kalten Krieg mit Architektur zu kombinieren? Ich arbeite schon lange an diesem Thema und finde es unglaublich faszinierend. Es geht mir vor allem um einen Wechsel der Perspektive auf die österreichische Nachkriegsmoderne. Es ist höchste Zeit, den etablierten Kanon der angeblichen kulturellen Leere und geistigen Isolation nach 1945 zu hinterfragen. Hat tatsächlich die Generation der Clemens-Holzmeister- und Karl-Schwanzer-Schüler Österreich internationalisiert, oder war es nicht umgekehrt so, dass die Internationalisierung zuerst durch die alliierte Kulturpolitik erfolgte, durch die österreichische Architektinnen und Architekten erst die Freiheit bekamen, ihre Rolle zu begründen?   Das heißt, es geht um Österreich im Spannungsfeld des Ost-West-Konflikts? Beim Kalten Krieg ging es politisch nicht nur um Ost-West-Polarisierung. Man vergisst, dass Wien wie Berlin ein Schauplatz der vier Mächte war. Auch Großbritannien und Frankreich waren auf ihre Art einflussreich mit ihren kulturellen Transferleistungen. Ab den 1960er-Jahren nahm Österreich dann eine aktivere Rolle als Mittler zwischen den Fronten ein, etwa in den Ländern des Nahen Ostens, mit Kreisky als Außenminister. Im politischen Windschatten tat das auch die Architektur. Es war eine Zeit der österreichischen Identitätsfindung.   Im Sinne von „Österreich ist frei“? Es ging nicht nur um Freiheit, sondern auch um die Suche nach dem österreichischen Selbstbild als europäischer „Sonderfall“ – und aus der Überzeugung heraus, im Dritten Reich kein „Täter“ gewesen zu sein. In der Architektur drückte sich das durch das Anknüpfen an die Wiener Moderne aus, wodurch eine Kontinuität mit der Architektur der Zwischenkriegszeit hergestellt werden sollte. Dieses nahtlose Anschließen an die Tradition eines Adolf Loos oder eines Otto Wagner und die damit verbundene Ausblendung des Bauschaffens zur Zeit des Austrofaschismus und des Nationalsozialismus werden bis heute weitertradiert.   Welche Rolle spielten die Architekten der 1950er-Jahre dabei? Es gab die „jungen Wilden“ wie Wilhelm Holzbauer oder Hans Hollein, die als Stipendiaten in die USA gingen. Aber neben den Einzelbiografien ist es mir wichtig, die Diskurse und Ideologien hinter der Architektur darzustellen, denn Architekturgeschichte ist für mich immer auch Teil der Kulturgeschichte. Die Ausstellung wird daher auch die Netzwerke aufzeigen, die Österreich mit der Welt verbanden.   Welche sind das? Das Forum Alpbach etwa, oder CIAM Austria. Schon 1953 gab es die erste Ausstellung zur Moderne in Österreich, Le Corbusier hielt bereits 1948 einen Vortrag in Wien. Eine junge Gruppe hat das stark rezipiert, die konnte man schon fast als „Franzosen des Ostens“ bezeichnen. Bei den Lehrenden an der TU Wien dagegen galt Le Corbusier als „Spinner“ und Kommunist. Die Stadt Wien war viel mehr auf England fokussiert, wo die Labour Party den Wohlfahrtsstaat aufbaute und sich stadtplanerisch viel tat. Die Wiener Stadtplanung setzte auf das transnationale Gartenstadtmodell, das schon in der NS-Zeit weiterentwickelt wurde. Auch eine Kontinuität!   Welche Bauten aus jener Zeit spiegeln die Netzwerke des Kalten Kriegs wider? Allen voran die Siedlung Veitingergasse in Wien; sie entstand vor dem Hintergrund einer US-Eigenheimoffensive, die einen Paradigmenwechsel der Wohnpolitik der Sozialdemokratie herleiten sollte. Das wurde von der Architekturgeschichtsschreibung unterschlagen oder übersehen, und der Architekturkritiker Friedrich Achleitner ordnete die Siedlung als „skandinavisch“ ein. Es gibt viele dieser Mythen, an die man heute noch glaubt, weil die Architekturhistorie fast nur aus Eigenerzählungen der Architekten und Architektinnen bestand. Ein anderes Beispiel: Stumme Zeugen der Bedrohung durch den Atomkrieg stellen die vielen Schutzräume in Einfamilienhäusern bis in die 1980er-Jahre dar.   Welche anderen Quellen haben Sie erforscht, um diese Mythen aufzulösen? Neben der Sammlung des Az W vor allem Zeitschriften. Es gab „Bau“ und „Aufbau“, die von der Zentralvereinigung der Architekten beziehungsweise der Stadt Wien herausgegeben wurden und als Medien der Interessenvertreter vieles ausließen. Spannend wird es, wenn man sich Zeitschriften der Alliierten anschaut oder die kommunistischen Medien „Die Brücke“ und „Tagebuch“. Erstaunlich viele Diskurse liefen über die Tagespresse, Architektur hatte einen hohen metaphorischen Stellenwert: Es ging um Aufbau, Neuordnung und einen kulturellen Optimismus hinsichtlich eines Neubeginns. In der Bauindustrie machte sich ein Innovationsschub mittels neuer Materialien bemerkbar, der auf der Rüstungsindustrie im Zweiten Weltkrieg basierte. So setzte die Aluminiumbranche in der Friedensproduktion auf Fenster, Türen und Curtainwall-Systeme. Im Gegensatz zu Kunst- und Architekturausstellungen erreichte man mit Messepräsentationen niederschwelliger ein weit größeres Publikum – eine Tatsache, die sich die beiden Supermächte in Wien mit ihren jeweiligen Pavillons schnell zunutze machten.   Wie wird die Ausstellung im Az W aussehen? Passend zum Thema wird die Ausstellung vier Zonen aufweisen. Ihnen vorangestellt ist eine Zeitleiste mit den globalen Ereignissen des Kalten Krieges. Im Weiteren wird ein Blick auf zwei transnationale Netzwerke geworfen: CIAM Austria und das Forum Alpbach. Ein Stadtplan mit der Verortung der alliierten Infrastruktur verdeutlicht Wien als Schauplatz des Kalten Krieges. Viele erstmals gezeigte Fotografien, Pläne, Filme und Originalzeichnungen runden das Bild ab. Im Jänner 2020 wird es im Rahmen der Ausstellung ein international besetztes Symposium mit dem Namen „Cold Transfer“ geben.   Maik Novotny   EXHIBITION: Kalter Krieg und Architektur. Beiträge zur Demokratisierung Österreichs nach 1945 17 OKT 2019–24 FEB 2020 Az W Architekturzentrum Wien   Monika Platzer: Studium der Kunstgeschichte an der Universität Wien (Promotion 2017). Seit 1998 im Architekturzentrum Wien tätig, Leiterin der Sammlung und Kuratorin. Forschungsschwerpunkt: österreichische Architektur- und Kulturgeschichte des 20. Jahrhunderts. Kuratorische Tätigkeit bzw. Leitung bei diversen Forschungs- und Ausstellungsprojekten, u. a.: „Wien. Die Perle des Reiches. Planen für Hitler“, „a_schau. Österreichische Architektur im 20. und 21. Jahrhundert“, „Lessons from Bernard Rudofsky“, „Mythos Großstadt. Architektur und Stadtbaukunst in Zentraleuropa 1890–1937“, „Kinetismus. Wien entdeckt die Avantgarde“. Editor von „icam print“, der Mitgliederzeitschrift der International Confederation of Architectural Museums; 2014 Visiting Scholar am Center for European Studies, Harvard University, USA; aktuell Forschungsschwerpunkt zum Thema Architektur nach 1945.  

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